Unter den Besucherinnen und Besuchern, die sich jährlich zahlreich in und um den Tempel gruppieren, befindet sich in regelmäßigen Abständen auch die Kulturfüchsin. Kein Wunder: seit 2012 wird das Gebäude vom Kunsthistorischen Museum jährlich mit einem ausgewählten zeitgenössischen Kunstwerk bespielt. Das passt hervorragend zum Errichtungszweck. Auch seine Gründung verdankt der Theseustempel dem Erwerb eines Kunstwerks: „Theseus besiegt den Kentauren“ von Antonio Canova. Die monumentale Skulptur wurde von Napoleon für den Corso in Mailand als Zeichen des Sieges über die Habsburger in Auftrag gegeben – es kam jedoch bekanntlich anders. Nach dem Sieg über Napoleon zahlte der österreichische Kaiser Franz I. (vormals als Franz II. der letzte Kaiser des Heiligen Römischen Reiches) die letzten Raten und ließ das Denkmal nach seinem Besuch bei Canova im Atelier knapp zwei Jahre später nach Wien bringen, wo es 1823 im Theseustempel aufgestellt wurde. Die Idee, die Gruppe in einem Tempel aufzustellen, soll von Canova selbst während des Kaiserbesuchs geäußert worden sein. Als Architekt zeichnete der Hofbaumeister Pietro Nobile verantwortlich. Nach der Fertigstellung des Kunsthistorischen Museums im Jahr 1890 wurde die Skulptur in das Stiegenhaus transportiert, wo sie noch heute, gesäumt von Kaiser Franz II./I. und Franz Joseph zu sehen ist.

Der Theseustempel wurde in Folge zur Ausstellung von Funden aus Ephesos verwendet. Immer wieder wurde er auch für Kunstausstellungen – wie ab den 1921er-Jahren von der Vereinigung Donauländischer Künstler – genutzt. Nach dem Abschluss der dringend nötigen Renovierungsarbeiten (2008 bis 2010) diente der Tempel alsbald erneut zeitgenössischen Kunstwerken als Ausstellungsraum.

Wer beobachtet wen?

Noch bis 6. Oktober können Neugierige das Werk „Turisti“ des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan beäugen beziehungsweise sich selbst „beäugen“ lassen. Als Touristen fungieren mehrere (ausgestopfte) Taubengruppen, die auf den Simsvorsprüngen im Inneren des Tempels beobachtend sitzen – eine Anspielung auf den Tourismusbetrieb in Venedig, der nur von den in der Stadt ansässigen Tauben übertroffen wird. Das Werk wurde 1997 für die Biennale di Venezia geschaffen – eine der weltweit wichtigsten Veranstaltungen im internationalen Kunstbetrieb, die alle zwei Jahre weitere Menschenströme in die italienische Lagunenstadt zieht.

Derartige Besucherzahlen sind im Theseustempel (zum Glück) nicht anzutreffen, trotz allem herrscht auch hier zeitweise ein reges Kommen und Gehen. Besonders seit der Renovierung dient das Gebäude bei Hochzeitspärchen als beliebte Fotokulisse. In den 60er-Jahren war der Tempel Treffpunkt der Wiener Hippies. Zur Zeit des Nationalsozialismus wollte man ihn in die Mittelachse des Heldenplatzes versetzen und ihn mit einem höheren Unterbau versehen. Das Gebäude blieb jedoch auf seinem ursprünglichen Platz – ein nicht minder historisch aufgeladenes Gebiet. Während der Ersten und Zweiten Türkenbelagerung war der Basteiabschnitt vor der Hofburg – dort wo sich heute unter anderen Heldenplatz und Volksgarten befinden – Schauplatz der kriegerischen Auseinandersetzung. Napoleon ließ bei seinem Abzug die Burgbastei sprengen, was schließlich 1823 zur Anlegung des Volksgartens mitsamt dem Theseustempel führte.

Hereinspaziert mit Wisocast (Wer hat: Cardboard nicht vergessen!)

Maurizio Cattelan
Noch bis 6. Oktober 2019 im

Theseus Tempel
1010 Wien, Volksgarten
Öffnungszeiten: April bis Oktober während der Ausstellungen täglich 11 – 18 Uhr
Öffnungszeiten Volksgarten: 1. April bis 31. Oktober, 6 – 22 Uhr
https://www.khm.at/besuchen/ausstellungen/maurizio-cattelan/

© Titelbild: © Maurizio Cattelan. Foto: KHM-Museumsverband

Geschrieben von Sandra Schäfer